Vom medikamentösen Tiefschlaf, den viele Praxen als Heil bringenden Weg bei Zahnarztangst preisen, hält sie nichts, zumindest nicht bei »normalen« Zahnbehandlungen bis hin zur Entfernung von Weisheitszähnen.
»Jede Vollnarkose ist eine Belastung für den Organismus und kein Spaziergang«, sagt Brandl-Riedel. Der behandelnde Zahnarzt habe leichtes Spiel mit schlafenden Patienten, er könne ganz in Ruhe und schnell arbeiten – manchmal bedeute das aber auch: »weniger behutsam«, sagt die Expertin. Und: »Es fehlt das positive Erleben, der Patient kann nicht die Erfahrung machen, dass es ja gar nicht so schlimm ist. Er bekommt keine Hilfe dabei, seine Angst abzulegen.«
Karies sei heute weniger verbreitet in deutschen Gebissen als vor 20 oder 30 Jahren. »Wir haben sehr viel mehr mundgesunde Patienten«, sagt Brandl-Riedel. Das liege vor allem daran, dass Gesundheitsämter, Zahnärzte und Krankenkassen eine massive Zahngesundheits-Offensive ins Leben gerufen haben. Der Nachwuchs wird heute schon in Kitas und Grundschulen regelmäßig und kindgerecht an Zahnhygiene und gesunde Ernährung herangeführt.
Und doch gibt es noch immer genug Menschen, die nach Kräften vermeiden, sich zahnärztlich behandeln zu lassen. Die erst dann eine Praxis betreten, wenn kein Schmerzmittel mehr hilft und ihnen der Eiter aus dem Kiefer läuft. »Ich hatte schon Patienten, die sind in Begleitung eines Psychotherapeuten zu mir gekommen, weil sie sich sonst gar nicht erst durch die Tür getraut hätten«, sagt Brandl-Riedel.
Brandl-Riedel hat die Erfahrung gemacht, dass es vor allem drei Dinge sind, die eine heftige Zahnarztangst auslösen können. Erstens: die Angst vor Schmerzen. Im normalen Ausmaß kann sie Patienten durch die Betäubungsspritze genommen werden. Ist sie jedoch besonders ausgeprägt oder kommt noch eine Angst vor Spritzen hinzu, wird es schwieriger. Brandl-Riedel arbeitet dann gern mit Hypnose. »Das funktioniert sehr gut, da kann ich einen Angstpatienten stundenlang behandeln und er liegt ruhig da und ist an seinem Wohlfühlort«, sagt sie. Allerdings: Das brauche gut geschulte Begleitung und viel Übung. Der Patient müsse die Hypnose wollen und regelmäßig zu Hause trainieren.
Lachgas hält Brandl-Riedel in Maßen für geeignet. Oft helfe es gut, mache den Patienten lustig und entspannt. In seltenen Fällen reagierten Menschen mit einem Kater auf Lachgas.
Auslöser Nummer zwei: die Angst vor dem Ausgeliefertsein. Normalerweise weiche man automatisch zurück, wenn sich jemand dem eigenen Gesicht auf weniger als 30 Zentimeter nähert. Doch beim Zahnarzt geht das nicht. Wir liegen da, mit offenem Mund, über der Brust ein Tablett mit blitzenden Werkzeugen – und können nirgendwohin, können noch nicht einmal sprechen. »Ich erkläre meinen Patienten immer, dass sie der Chef im Stuhl sind«, sagt Brandl-Riedel. Man könne ein Handzeichen vereinbaren, mit dem der Patient Pausenbedarf signalisieren kann. »Ich sehe das aber auch sofort in den Augen«, sagt die Angst-Expertin.
Manchmal sorgen schon kleine Dinge für Ablenkung und helfen so gegen die Angst: beruhigende Musik im Hintergrund oder über Kopfhörer schön laut der Lieblingssong. Ein spannendes Bild an der Decke oder ein Bildschirm mit den neuesten Nachrichten. Manch einer schwört auch auf eine Videobrille – doch davon rät Brandl-Riedel ab: »Ich muss die Augen sehen. Sonst können die Patienten kollabieren, ohne dass ich es merke.«
Dann wäre da noch Angst-Auslöser Nummer drei: die Scham. »Wer ewig nicht beim Zahnarzt war, hat oft ein Trümmergebiss mit fauligen Stumpen und üblem Geruch«, sagt die Spezialistin. »Diesen Menschen ist es peinlich, zu uns zu kommen.« Auch da helfe ein ausführliches Gespräch, Verständnis zu zeigen, Vertrauen aufzubauen. »Ich sage dann immer: Wir freuen uns, dass Sie kommen und uns viel Arbeit mitbringen.«
Am Anfang von allem steht das Kind. Wenn es keine Zahnarztangst entwickelt, die sich dann möglicherweise durch ein ganzes Leben zieht, ist viel gewonnen. Brandl-Riedel arbeitet mit Handpuppen und Feuerwehrmann-Sam-Geschichten. Sie lässt Harry Potter zaubern und Kinder selbst die Mundspülung betätigen. Manchmal muss sie dabei die Angst der Eltern gleich mitbehandeln, die diese auf ihre Kinder übertragen. Zum Beispiel mit dem gut gemeinten Hinweis: »Du musst keine Angst haben!« Der so manchem Kind überhaupt erst suggeriert, dass Zahnarzt etwas Schlimmes ist. Brandl-Riedel hat festgestellt: »Man kann Kinder gut behandeln, man muss sich nur Zeit nehmen.«
Am Ende ist es gut investierte Zeit, denn wer keine Angst hat, geht regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung. Und wer das tut, hat gesündere Zähne und damit ein geringeres Risiko, mal eine traumatische Behandlung durchmachen zu müssen – die wiederum der Anfang einer ausgeprägten Zahnarztangst sein kann.