Als Oma Trudi mit 96 Jahren friedlich einschlief, war es, als würde ein Teil von mir selbst von dieser Welt genommen. Sie war mehr als eine Großmutter. Sie war die Konstante, die Vertraute, die, die mich immer wieder daran erinnerte, was wirklich zählt im Leben. Schon als kleines Mädchen verbrachte ich jede freie Minute bei ihr. Ihre Wärme, ihre Geschichten und die Rituale, die sie mit mir teilte, gaben mir Halt und Orientierung in einer Welt, die sich oft zu schnell drehte.
Oma Trudi war ein Freigeist. „Lass dich nicht in eine Schublade stecken,“ sagte sie oft, „die Welt gehört denen, die ihr Herz öffnen.“ Diese Weisheit begleitete mich durch mein Leben. Besonders bei unseren gemeinsamen Wanderungen durch die Berge, wenn wir auf das Tal blickten und alles, was uns beschäftigte, plötzlich klein und unbedeutend schien. Sie brachte mir bei, dass keine Herausforderung zu groß ist, wenn wir sie mit einem offenen Herzen und einem klaren Kopf angehen.
„Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, war ein Satz, den sie immer dann sagte, wenn ich vor einer Herausforderung stand, die mich überforderte. Ihre Worte gaben mir die Ruhe, in stürmischen Zeiten den klaren Blick zu bewahren und auf das Wesentliche zu fokussieren.
Oma hatte immer Zeit. Sie hatte die Fähigkeit, zuzuhören, und in ihrem Beisein fühlte sich alles leichter an. In den Wintermonaten saßen wir oft zusammen am Kamin, befüllten das Feuer mit Holz und erzählten uns Geschichten über das Leben und die Welt. Diese Abende waren für mich wie ein sicherer Hafen, ein Ort der Geborgenheit, der mir zeigte, dass wahre Stärke im Mitgefühl und der Fürsorge füreinander liegt.
Und dann gab es da noch die Knödel mit Rinderroulade – Omas Lieblingsgericht. Es war nicht einfach nur eine Mahlzeit, sondern ein Akt der Liebe, der in jeder Zutat steckte. Beim gemeinsamen Kochen sprach Oma immer wieder über Werte wie Respekt, Fürsorge und die Kraft der Gemeinschaft. „Es ist wichtig, dass wir über alles reden können,“ sagte sie. „Dann ist die Hälfte der Probleme schon mal weg.“ Diese Worte begleiteten mich immer, und sie sind es, die mich bis heute prägen. Ich lernte von ihr, dass es nicht auf das Äußere ankommt, sondern auf das, was wir einander geben – unsere Zeit, unsere Liebe und unser echtes Interesse.
Heute, nach Omas Tod, fehlt mir etwas. Es ist, als würde ein Anker fehlen, der mich immer gehalten hat. Doch gleichzeitig fühle ich, dass sie in mir weiterlebt. Ihre Werte, ihre Lebensweise, ihre Geschichten – sie begleiten mich nach wie vor. Der Duft von Kaminholz, der Geschmack von Knödeln, der Blick vom Berg ins Tal – all das ist Oma. Es ist, als hätte sie mich so vorbereitet, dass ich auch ohne sie stark weitergehen kann.
Oma hat mir gezeigt, dass das Leben nicht immer einfach ist, aber dass es mit Fürsorge, Humor und einem offenen Herzen bewältigt werden kann. Sie wusste, dass das Leben in all seiner Schönheit und Schwierigkeit nie einfach ist, aber auch nie ohne Hoffnung. Und so trage ich ihren Mut in mir, weil sie ihn immer in mir gesehen hat.
„Der Tod gehört zum Leben“, sagte Oma einmal, „und wenn wir ihn annehmen, verliert er seinen Schrecken.“ Diese Worte haben mir geholfen, den Abschied nicht als Ende zu sehen, sondern als einen Übergang, den wir in Liebe gestalten können.
Oma hatte den Wunsch, in ihrem eigenen Zuhause und umgeben von den Menschen zu gehen, die sie liebte. Sie wollte keine großen Worte, keine Rituale, sondern einfach spüren, dass sie in den richtigen Händen war. Genau diesen Wunsch konnte ich ihr erfüllen, weil ich sie kannte, weil ich wusste, was ihr wirklich wichtig war. Und es schenkte uns allen Ruhe, Klarheit und den Frieden, dass wir ihren Abschied so gestalten konnten, wie sie es sich gewünscht hatte.